9 ½ Jahre – 2 Jahre Täuschung und Manipulation – 7 ½ Jahre Enttäuschung, Betrug und Lügen.
Am Anfang war alles überwältigend – oder zumindest schien es so. Das romantische Kennenlernen, der schon bald folgende erste Kuss und das Schmusen im Park – wie aus einem kitschigen Liebesroman. Es folgte ein zauberhafter Tag in den Bergen, im Haus einer Freundin von Ursula. Ab diesem Moment schien alles perfekt – viel Leidenschaft, viel Nähe, viel Sex. Stefan fühlte sich angekommen.
Ursula erwies sich als vielseitige Reiseleiterin ihrer Beziehung: An den Wochenenden organisierte sie Ausflüge aufs Land, und eine Woche Urlaub in den Marken, Italien, durfte natürlich nicht fehlen – schließlich musste Stefan getestet werden. Sie durchquerten die Isar, unternahmen Radtouren, und er sah Ursula auf ihrem Rad sitzen, ein Bein lässig abgestellt, ihr blondes Haar malerisch im Wind. Ihr Blick wirkte so tief, so verträumt – jedenfalls dachte er das damals. Heute weiß er, dass sie einfach nur genervt war, weil er mit seinem neuen Rad zu langsam fuhr. Ihr Blick war nicht verträumt, sondern leer. Aber wer hätte auch ahnen können, dass ihre scheinbare Anmut weniger mit einem besonderen Moment als mit Langeweile zu tun hatte?
Ihre nächste Großtat war die gemeinsame Wohnung. Ursula zeigte sich großzügig, als sie sagte: „Es ist schön, mit dir zusammenzuleben.“ Sie schätzte angeblich an Stefan besonders, dass er immer gut gelaunt war – wie ein menschliches Stimmungsaufheller-Programm. Stefan fühlte sich geschmeichelt, ohne zu ahnen, dass er dabei weniger ein Partner, sondern eher eine angenehme Ergänzung ihres Alltagsinventars war.
Er genoss diese Zeit. Ihr Lächeln schien offen und ehrlich – zumindest glaubte er das. Ursula betonte oft, wie gut Gespräche mit ihm ihre Laune verbesserten. Welch ein Kompliment! Ein Partner, der nicht nur da ist, sondern auch als seelische Notfallhilfe fungiert.
Ein Jahr später erreichte die Harmonie ihren Höhepunkt. Stefan war glücklich, wenn er sie nur ansah. Besonders in Erinnerung blieb ihm eine Party, bei der Ursula sich als Geisha verkleidete. Alles schien leicht, locker und perfekt. Zum Jahrestag schrieb Stefan ihr eine Karte. Darin beschrieb er, wie glücklich er war, und verglich ihre Beziehung mit perfekt passenden Legosteinen. Er schlug sogar vor, irgendwann über eine Heirat nachzudenken – selbstverständlich ganz entspannt und ohne Druck, wenn alles weiterhin so gut lief. Das wurde auch genau so kommuniziert. Es sollte Zeit vergehen.
Doch Ursula war nicht der Typ Frau, die Vorschläge lange reifen lässt. Zwei Monate später fragte sie nach, ob er noch immer dazu stehe. Natürlich bejahte er das. Von da an nahm das Projekt „Hochzeit“ volle Fahrt auf. Ursula und ihre depressive Tochter führten Regie, bestimmten die Termine und entschieden über die Organisation – wie sollte es auch anders sein? Stefan ließ alles geschehen, denn das war schon irgendwie okay für ihn.
Die Hochzeit selbst wurde ein rauschendes Fest. Stefan war stolz, eine so beeindruckende Frau an seiner Seite zu haben. Alles fühlte sich richtig an – oder so dachte er zumindest. Er heiratete aus tief empfundener Liebe, denn alles andere hätte für ihn keinen Sinn ergeben.
Heute sieht er vieles klarer. Die Hochzeit war weniger ein Symbol der Liebe als eine Inszenierung für Ursulas Ego. Endlich konnte sie der Welt beweisen, dass sie es mit 60 Jahren „geschafft“ hatte – wie sie später jedem erzählte. Die Gäste, die Fotos, die Gratulationen – das war die wahre Krönung ihrer Bemühungen. Aber Stefan? Er war wohl nur der Statist in ihrem großen Auftritt.
Zitat von Ramani Durvasula, Psychologe:
„Für mich ist es oft ein Warnsignal, wenn ich höre, dass Menschen eine ,magische Verbindung‘ spüren, die sich in etwas Toxisches verwandeln könnte“, so Durvasula.
Ihr Verhalten schlägt um, nachdem ihr euch auf die Beziehung mit ihnen eingelassen habt. Sie werden weniger aufmerksam, nach außen hin egozentrisch und inkonsequent. Nachdem die „Flitterwochen-Phase“ vorbei ist und ein Narzisst euch dazu gebracht hat, euch zu binden und emotional in die Beziehung zu investieren, gibt es meistens eine Kehrtwende: Die übermäßige Zuneigung könnte aufhören, die Geschenke könnten weniger werden, und stattdessen könnte es drastische Schwankungen in seinem Verhalten geben.
„Sobald Narzissten euch haben — wie ein Kind mit einem Spielzeug — werden sie ziemlich schnell desinteressiert, und der abwertende Zyklus beginnt, und dann ist es offiziell toxisch“, sagt Durvasula.
Weiteres folgt – die Jahre später